10 wirklich wahre Fakten zur Europawahl

Essay
21.05.2019 - Nicolas Flessa

Kennen Sie das auch? Alle Macht geht von Ihnen aus, doch Sie wissen nicht, was Sie tun? Kein Problem. Sie brauchen keinen Wahlomat, Sie brauchen die richtigen Fakten.

„Abendland, Abendland, wir sind aus dir geboren, wir fahren auf deinem Narrenschiff dem Abschied entgegen.“ Als der Wiener Liedermacher André Heller im Jahr 1975 diese Zeilen veröffentlichte, war die Freiheitliche Partei Österreichs, kurz FPÖ, noch eine glühende Verehrerin der Europäischen Idee. Auf dem Bundesparteitag der heutigen EU-Kritiker sprach man sich 1976 dezidiert für eine Mitgliedschaft der Alpenrepublik in der Europäischen Gemeinschaft aus. Das war genau 40 Jahre, bevor Heinz-Christian Strache die Infrastruktur seines Landes an russische Oligarchen verschachern wollte. Was gedacht war, ihn zum Kanzler zu machen, kostete ihn am Ende sogar den Posten des Vizekanzlers, des Parteiobmanns wie des Ehemanns.

Als Europa noch ein Kontinent war und keine Festung, waren seine Feinde an einer Hand abzuzählen. Grob zusammengefasst hatte man sich darauf geeinigt, die eine Hälfte von Atomwaffen der NATO, die andere von nuklearen Sprengköpfen des Warschauer Pakts vernichten zu lassen, Überlebende ausgeschlossen. Und heute? Fast 45 Jahre nach den melancholischen und selbstkritischen Zeilen Hellers ist von Atomkrieg keine Spur, doch der von ihm herbeigesungene Untergang ist in aller Munde. Von Schicksalswahl ist daher die Rede, wenn es jetzt um die Neuzusammensetzung des Europäischen Parlaments geht, das seit seiner Gründung 1979 kontinuierlich – Achtung Wortspiel – an Rechten gewonnen hat und fast ebenso stetig an Anerkennung verloren. 

Die Krise der Europäischen Union ist so hausgemacht, dass man mit Heller weinen und klagen möchte: „Abendland, Abendland, ich achte und verachte dich.“ Seien es die Egoismen nationaler Politiker aller Couleur, die im Wahlkampf gerne mal auf „Brüssel“ schimpfen, seien es die Widersprüche, die im Kampf gegen den politischen Gegner ohne zu erröten eingesetzt werden, als sei der Wähler nicht an der Zukunft der Union, sondern an einem Ringkampf mit untergriffigen Argumenten interessiert. 

Glaubt man den Unkenrufen der Medien und Parteien, sind die Feinde Europas so kurz vor der Wahl nicht mal mehr an einem Dutzend Hände abzuzählen: Al-Qaida oder der IS, „die Araber“ oder „die Muslime“, „die Rechtspopulisten“ oder „die Nazis“, „Monsanto“ oder „die Heuschrecken“, „die skrupellosen Nordstaaten“ oder „die faulen Südstaaten“, „die Flüchtlinge“, „die Chinesen“, „Trump“, „die Altparteien“, „die Lügenpresse“, „Putin“, „Orban“ und so weiter und so fort. Die Festung, in die sich das ehemalige Epizentrum kolonialer Weltunterwerfung verwandelt hat, gleicht einem Hundertfrontenkrieg.

Dass es Wähler geben kann, die dabei den Überblick verlieren oder gleich das Interesse an der ganzen Wahl, deren Bedeutung sie sowieso noch nie so recht verstanden haben, ist wohl weniger das Ergebnis von Politikverdrossenheit, als vielmehr eines gesunden Menschenverstands. Nehmen wir uns daher einen kurzen Moment Zeit und klären die Ausgangssituation dieser verwirrenden Situation. Zehn Wahrheiten für Unentschlossene und Nichtwähler, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, sich vor dem Wahltag eine Meinung gebildet zu haben: 

1. Brüssel ist nicht der Byzantinische Kaiserhof oder das Führerhauptquartier. Alle maßgeblichen Entscheidungen werden weiterhin von nationalen Regierungen getroffen. Auch wenn ihnen das zu Hause am Stammtisch gerne mal entfällt.

2. Das ist letztlich auch egal, denn Brüssel steht gar nicht zur Wahl. Es geht um Straßburg, denn hier steht das Europäische Parlament.

3. Das Europäische Parlament ist nicht befugt, die Europäische Union aufzulösen, egal wie viele Feinde der EU sich zukünftig auf Kosten der EU ihr EU-Bashing finanzieren lassen. 

4. Die Europäische Union ist kein Verein zur Gurkennormierung. Wer noch einmal das Wort Gurke in den Mund nimmt, dem wird das Wahlrecht entzogen. Aktiv wie passiv.

5. Flüchtlinge können nicht abgewählt werden, ebenso wenig wie die Menschenrechte.

6. Wer meint, Kritik an der Globalisierung und der Auswirkung neoliberaler Politik auf Wählergruppen und ganze Regionen sei wahlweise Kommunismus oder Nationalsozialismus,  ist ein konterrevolutionärer Volksverräter.

7. Wer meint, Wahlen zum EU-Parlament seien reine Zeitverschwendung, sollte mal von seinem Instagram-Feed aufschauen. 

8. Wer meint, Instagram sei eine gute Quelle für seine politische Entscheidungsfindung, sollte auf keinen Fall zur Wahl gehen. Totale Zeitverschwendung!

9. Sie möchten die Bienen retten, haben aber was gegen die Homo-Ehe? Der Lindner ist schon ein fescher Kerl, aber Verstaatlichung erscheint Ihnen sinnvoll? Kein Grund zur Panik: Für dialektische Geister wie Sie gibt es die Partei „Sonstige“.

10. Sie finden, niemand hat so gute Ideen wie Sie, wie man das europäische Projekt auf eine ganz neue Ebene heben kann?  Schreiben Sie mir: Ich wähle Sie, versprochen.

P.S. André Heller, der eingangs zitierte Untergangspoet, schloss seinen Abgesang auf das Abendland übrigens mit einem in der Popwelt recht ungewöhnlichen Zitat: einem Gebet. In Zeiten, in denen Religionen bemüht werden, um Wahlen zu beeinflussen, eine geradezu prophetische Entscheidung, der ich mich daher vorbehaltlos mit meinem Artikel anschließen möchte:

„Herr gib, dass ich Liebe gebe, wo Hass ist, dass ich verzeihe, wo Schuld ist, vereine, wo Zwietracht herrscht, nicht um getröstet zu werden, sondern um zu trösten, nicht um verstanden zu werden, sondern um zu verstehen, nicht um geliebt zu werden, sondern um zu lieben. Nur dies ist wichtig. Denn, da wir geben, empfangen wir, da wir uns selbst vergessen, finden wir, da wir verzeihen, erhalten wir Vergebung.”

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DI, 18.6.2019, 19:30 Uhr: Antisemitismus heute. Von was reden wir da eigentlich?

Antisemitismus ist nach wie vor ein weit verbreitetes Phänomen. Nicht nur im Nahen Osten, im spannungsreichen Konfliktfeld zwischen Israel und manchen arabischen Staaten, sondern auch in Europa und in Deutschland. Antisemitische Äußerungen sind an Berliner Schulen zu hören, sie sind aber auch in den deutschen Medien, in Zeitungen, den Radio- und Fernsehsendungen zu vernehmen. Von was reden wir eigentlich, wenn wir von Antisemitismus oder Antijudaismus reden? Die häufige Verwendung macht einen Begriff unscharf. Und was können wir 70 Jahre nach der Shoah, der Vernichtung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen während des Dritten Reichs, heute tun? Wie können Verständnis und Toleranz gefördert werden?

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MO, 24.6.2019, 19:30 Uhr: Was bedeutet europäische Sicherheit am Beginn des 21. Jahrhunderts?

In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Ansätze für eine stärkere Zusammenarbeit oder sogar Eigenständigkeit der (west-) europäischen Staaten in der Sicherheitspolitik. Doch was bedeutet europäische Sicherheit am Beginn des 21. Jahrhunderts, nach dem Ende des alten und dem Entstehen eines neuen Ost-West-Konflikts, nach der anfänglichen Abkehr der USA unter Trump von der NATO und seiner inzwischen vielfach geforderten Erhöhung der Rüstungsausgaben in den anderen Mitgliedstaaten? Welche Auswirkungen haben die krisenhaften Entwicklungen in der Europäischen Union und ihren Nachbarregionen?

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DO, 27.6.2019, 19:30 Uhr: „Brauchen wir einen europäischen Champion?” (Podiumsdiskussion)

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche ist neben dem Klimawandel der zweite Megatrend, der das Leben der allermeisten Menschen nachhaltig verändern wird. Deshalb ist Digitalisierung auch der Bereich, der für lange Zeit die Konkurrenz zwischen den führenden Wirtschaftsmächten Europa, USA und China bestimmen wird. Hierzulande wird das Thema erst breiter diskutiert, seitdem sich einer der Weltmarktführer, der chinesische Konzern Huawei, auch um den Aufbau des deutschen 5G-Netzes bewirbt. Neben den Fragen von Datenschutz und Rechtssicherheit geht es außerdem in den Auseinandersetzung um die ethische Führung bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz sowie um die Wahrung der Sicherheit im Cyberraum Europa. Wie sollen sich Deutschland und die EU, die in diesem globalen Konkurrenzkampf ins Hintertreffen geraten können, positionieren? Brauchen wir einen „europäischen Digitalchampion“, und wenn ja, wie könnte er überhaupt geschaffen werden?

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