Demokratie im Alltag stärken

Interview
25.10.2022 - Ana-Maria Trăsnea im Gespräch mit Marie Kloos

Seit 2017 gibt es in der Berliner Senatskanzlei das Referat „Bürgerschaftliches Engagement und Demokratieförderung“. Wie kann zivilgesellschaftliches Engagement unterstützt und wie können mehr Menschen einbezogen werden? Und was gehört alles zur Förderung von Demokratie? Ein Interview mit der Staatssekretärin.

Seit Dezember 2021 sind Sie die Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Engagement-, Demokratieförderung und Internationales. Mit 27 Jahren sind Sie die jüngste Staatssekretärin, ein großer Karrieresprung aus der Bezirksverordnetenversammlung von Treptow-Köpenick. Was bringen Sie für eine Perspektive ein? Was sind Ihre Pläne und Ziele?

Erst einmal ist es natürlich eine Riesenehre und eine verantwortungsvolle Aufgabe, die ich mit Demut, aber auch mit Tatendrang und Gestaltungswillen angehe. Ich bin als Migrantin vor 15 Jahren nach Deutschland und hier aufs Gymnasium gekommen. Ich bin quasi ins kalte Wasser geschmissen worden und musste lernen, zu schwimmen. Ohne Intergrationslotsen vor Ort, ohne Sozialarbeiterin an der Schule. Ich war das einzige Kind in der Klasse, was nicht deutsch sprach, was ausländisch war, und so mussten alle Beteiligten lernen, miteinander umzugehen und voneinander zu lernen. Ich glaube, diese Perspektive von gesellschaftlicher Teilhabe – auch für unterrepräsentierte Gruppen – in der Politik und in der Verwaltung, in Führungspositionen, auch in der Wirtschaft, ist enorm wichtig. Das ist etwas, was ich mitbringe.

Die Vielfalt der Menschen als Plus für die Demokratie zu betrachten, dazu bekenne ich mich auch im Rahmen der Engagementstrategie, die wir als Senat auch in dieser Wahlperiode umsetzen wollen.

Denn man muss sich auch fragen: Welchen Zugang haben Alleinerziehende zum Thema gesellschaftliche Teilhabe? Oder beispielsweise Migrant:innen oder LGBTQIA-Menschen? Menschen, die sonst auf der politischen Agenda vielleicht eher weniger Sichtbarkeit bekommen? Und wie können wir diese Menschen einbeziehen? Indem wir neue, partizipative, innovative Formate mit der Haltung entwickeln, dass wir nicht über die Menschen sprechen, sondern mit ihnen.

Sie kamen mit 13 aus Rumänien hier nach Berlin. Welche Möglichkeiten und Freiheiten, welche Einschränkungen und Schwierigkeiten haben Sie damals in dieser Stadt erlebt? Und wie kam dann der Wunsch in die Politik zu gehen?

Ich komme aus einer mittelgroßen Stadt im Nordosten Rumäniens. Für mich war der Wechsel von einem Schulsystem zum anderen sehr einschneidend. Ich habe plötzlich eine ganz andere Kultur vorgefunden. In Rumänien hatte ich ein Denkmuster, eine Haltung beigebracht bekommen, wo es um Ehrgeiz ging. Wo es darum geht, diszipliniert zu sein, ganz viel zu wissen, ganz viel zu lernen.

In Deutschland ist es sehr einprägsam für mich gewesen, als ich im Unterricht zum ersten Mal nicht gefragt wurde, wie viel ich wusste, sondern gefragt wurde: „Was hältst du von diesem Text?“ Mit dieser Frage hat es eigentlich angefangen. Da habe ich festgestellt: Hoppla, hier wird auch kritisches Denken gefördert. Ich musste dann erst einmal lernen, wie man das macht, aber es hat mich total beflügelt.

An meiner Schule hatten wir über 13 Arbeitsgemeinschaften, die nachmittags Möglichkeiten zum Engagement für die Schülerinnen und Schüler boten. Unsere Meinung war bei vielen Dingen gefragt. Wir haben zum Beispiel den Namen unserer Schule mitbestimmt, Feste organisiert, wir haben Verantwortung gehabt. Das hat mir gezeigt: Schule kann auch ein Ort der Demokratie sein, ein Ort, an dem junge Menschen was zu sagen haben.

Das Ehrenamt war mein Zugang zu dieser Gesellschaft. Und selbst wenn ich Diskriminierungen, Anfeindungen, rassistischen Kommentaren und Ähnlichem ausgesetzt war, waren für mich diese ehrenamtlichen Netzwerke in der Schule – Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, der Jugendaustausch im Bezirk, den ich geleitet habe, die Städtepartnerschaften – immer Netzwerke der Solidarität. Netzwerke, in denen ich nicht mehr alleine und nicht mehr das ausländische Kind in der Klasse war.

Mit neunzehn, nachdem ich mich sechs Jahre im Bezirk engagiert hatte, habe ich festgestellt, dass ich nicht länger auf der Seite der Zivilgesellschaft immer darum bitten und dafür kämpfen möchte, dass meine Projekte gefördert werden. Ich habe beschlossen, dass ich auf der anderen Seite des Tisches sitzen möchte. Ich wollte politisch gestalten und auch ein Wörtchen mitzureden haben.

Berlin war 2021 europäische Freiwilligenhauptstadt. Sehr viele, fast jede:r dritte Berliner:in engagiert sich. Inwiefern ist dieses zivilgesellschaftliche Engagement wichtig für die Demokratie?

In Deutschland und in Berlin sprechen wir schon längst nicht mehr darüber sprechen, ob wir die Zivilgesellschaft als Partnerin betrachten, sondern, wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten. Dieser Wandel von ob zu wie ist nicht selbstverständlich. Das ist ein Prozess, der in den letzten 20, 25 Jahren auch durch die Enquête-Kommissionen des Deutschen Bundestages stattgefunden hat.

Und ich denke, es ist bezeichnend, dass wir in Berlin Engagementförderung auch mit Demokratieförderung gleichsetzen und zusammendenken. Denn wir haben jetzt nun endlich auf der Bundesebene die Chance, tatsächlich eine Demokratieförderung hinzubekommen. Das Bekenntnis dazu, dass auch der Bund das als staatliche Aufgabe sieht, ist wichtig.

Wir sind als Länder im Okzident oft gewöhnt, externe Demokratieförderung in anderen Ländern durchzuführen. Wir machen durch Stiftungen politische Bildungsarbeit und kulturelle Projekte und stärken NGOs. Aber wir müssen genauso in Deutschland die Zivilgesellschaft stärken.

Wir haben hier schon eine lange, lange Tradition des Engagements in vielen Bereichen. Aber die Demokratie lebt davon, dass wir diese Menschen auch unterstützen und stärken. Und zwar zum einen strukturell, aber auch durch die Wahrnehmung dieser zivilgesellschaftlichen Kräfte. Und die Zusammenarbeit mit ihnen.

Sie haben das geplante Demokratiefördergesetz schon angesprochen. Was würde das für das Land Berlin bedeuten, wenn auf Bundesebene ein solches Gesetz verabschiedet wird?

Das ist ein ganz wichtiger Meilenstein. Nicht nur als Politikerin, sondern auch als Kulturwissenschaftlerin beobachte ich das Thema seit vielen Jahren. Wichtig ist vor allem erst einmal die Verstetigung interner Demokratieförderung. Denn die Demokratieförderung ist ein Staatsziel und etwas, was wir adressieren müssen. Es ist gut, dass der Bund sich dazu bekennt. Was das für uns konkret als Land Berlin bedeuten wird, können wir final noch nicht bewerten. Der Entwurf wird erst erarbeitet.

Ich würde mir wünschen, dass das Gesetz auch dem Gedanken einen Rückenwind gibt, Engagement und Demokratieförderung nicht nur von der reaktiven, präventiven Arbeit her zu verstehen. Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus oder Opferberatung etc.: Das ist natürlich unbedingt wichtig. Und trotzdem müssen wir unseren Demokratiebegriff weiten und auch gucken, wie wir Menschen dazu motivieren, mitzumachen, wie sie Lust bekommen, Mitverantwortung zu übernehmen. Demokratie im Alltag stärken. Denn demokratische Kräfte sind letztlich ein Bollwerk gegen autoritäre Kräfte, die spalten wollen, die Hass bringen.

Die Urania soll bis zum Jahr 2027 zu einem Bürgerforum von nationaler Bedeutung ausgebaut werden, der Senat finanziert dabei die Hälfte des Ausbaus – ein Riesenprojekt. Welche Vorstellungen haben sie von der Urania als „Forum für Demokratie und Vielfalt, Bildung, Wissenschaft und Umwelt“? Welche Leerstellen kann es füllen?

Ich finde es wunderbar, dass die Urania sich auf den Weg macht – mit Unterstützung des Bundes und des Landes –, ein Haus der Demokratie für Berlin zu werden. Ein Haus, das zum Dialog und zum Mitmachen, zum Miteinander einlädt. Ein Ort, an dem auch kritische Fragen beleuchtet werden, Gegenwartsfragen zu einer sozialen, nachhaltigen Metropole, zu Mobilität, zu inklusiven Zugängen in der Gesellschaft, Wohnen, sozialen Räumen und Digitalisierung. Die Tradition, die die Urania hat, ist die beste Voraussetzung, um all diese Punkte zu beleuchten. Mir ist es ein Anliegen, dass wir Synergien schaffen und eine Vernetzung in der Stadtgesellschaft über die Sektoren hinweg stattfindet, mit der Wirtschaft zusammen, mit Sozialverbänden, Organisationen aber auch internationalen und vor allem zivilgesellschaftlichen Akteuren. Und an dieser Stelle entwickelt die Urania gemeinsame Formate, bleibt dabei aber auch angebunden an ihren Kiez. Es darf nichts Exklusives bleiben, daran teilzunehmen. Wir müssen unterrepräsentierten Gruppen niedrigschwelligen Zugang dazu bieten, sie ansprechen, abholen in ihren Lebenslagen. Und ich glaube, Sie sind da auf dem besten Weg dahin.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ana-Maria Trăsnea studierte Kulturwissenschaften und European Studies. Sie war fünf Jahre lang Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung von Treptow-Köpenick und zur Bundestagswahl 2021 dort Direktkandidatin der SPD. Seit Dezember letzten Jahres ist sie Staatssekretärin für Engagement- und Demokratieförderung.

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