Bauwende jetzt! - Wie es uns gelingt, wirklich nachhaltig zu bauen

Artikel
25.10.2021 - Anne Raupach

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Doch was es bedeutet, wirklich nachhaltig zu leben, führt uns kaum etwas so vor Augen wie unsere Wohnkultur. Warum uralte Materialien ebenso wichtig für einen Beitrag gegen den Klimawandel sind wie neueste energetische Konzepte, verrät uns die Architektin Anne Raupach.

Im Bausektor gibt es hinsichtlich Nachhaltigkeit noch viel zu lernen. Der Gebäudebereich ist für ca. 25 Prozent des Müllaufkommens, 40 Prozent des Energieverbrauchs, rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen und einen großen Teil des Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Damit trägt er in hohem Maß zum Klimawandel bei. Was muss sich im Sinne einer Bauwende ändern? Welche Baustoffe sind nachhaltig, sprich langlebig, umweltverträglich, wiederverwendbar? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf den Gebäudebestand. Welche Materialien sind auch nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten noch nutzbar und welche Materialien müssen im Falle einer Sanierung entfernt und entsorgt werden?

Alle vermeintlichen Hochleistungsbaustoffe, die nach 1950 eingebaut wurden, sind heute problematischer Müll, häufig verbunden mit gesundheitsgefährdenden Emissionen: PVC, Polystyrol, Faserzement (Asbest), Spachtelmassen, Dichtstoffe, Klebstoffe, Kunststoffe, Farben und Beschichtungen, Dämmstoffe aus Erdölprodukten oder kurzfaseriger Mineralwolle, Teppiche, Laminat und Tapeten. Alle diese Baustoffe müssen im Falle einer Sanierung aus dem Gebäude entfernt und auf der Deponie entsorgt werden.
Eine Wiederverwendung ist nicht möglich. Was vom Gebäude für die weitere Nutzung bleibt, sind Naturbaustoffe wie Naturstein, Holz, Lehm und keramische Produkte, z. B. Ziegel, Dachziegel, Fußbodenfliesen. Bei neueren Gebäuden können auch Bauteile aus Stahlbeton und Stahl weiterverwendet werden.

Sanierung heißt zunächst Abbruch, Entsorgung und Rückbau auf die brauchbare, wiederverwertbare Substanz. Dennoch ist der Gebäudebestand ein riesiges Materiallager und sollte im Sinne der Rohstoff-, Energie-, Emissions-, Flächen- und Mülleinsparung erhalten und saniert werden. Nicht zu unterschätzen sind im Bestand auch die vorhandene urbane und technische Infrastruktur und die stadträumliche Einbindung. Im Falle von Neu- oder Umbauten sind neben dem Energieverbrauch im Betrieb immer auch der Verbrauch von Ressourcen bei der Herstellung der Baustoffe und Gebäude und natürlich die Langlebigkeit der Materialien zu berücksichtigen. Gerne wird bei der Betrachtung von Neubauten nur der zukünftige Energie-verbrauch, nicht aber die graue Energie betrachtet, die schon im Herstellungs-prozess steckt.

Im Gegensatz zu Stahl und Beton, die bei der Herstellung große Mengen CO2 freisetzen, erzeugen Holz und Naturfasern im Wachstum Sauerstoff, binden CO2 und speichern es in einem Gebäude über Jahrhunderte. Holz steht nach wie vor ausreichend zur Verfügung, auch Laubholz kann im Bauwesen eingesetzt werden. Diese Rohstoffe sind ständig nachwachsend und regional verfügbar. Es lohnt sich also, genau hinzuschauen und qualitativ hochwertig und damit langlebig im Sinne des Kreislaufgedankens von „Cradle to Cradle“ („von der Wiege zur Wiege“), also mit stets wiederverwendbarem Material, zu bauen. Vermeintliche Einsparung beim Material führt gerade im Gebäudebereich zu hohen Folgekosten für den Eigentümer und die Umwelt.

Wie verbindet man aber Qualität mit Bezahlbarkeit? Wohnungen müssen sich alle leisten können, unabhängig vom Geldbeutel. Sozialwohnungen in nachhaltigen Gebäuden benötigen eine – sinnvoll angelegte – Förderung. Bezahlbares Wohneigentum benötigt gute Konzepte und viel Engagement. In Berlin gibt es einige Beispiele. Das Projekt Walden 48 ist eines davon. Scharabi Architekten und mein Büro haben es in einer Projektgemeinschaft entwickelt und geplant. Das Gebäude wurde an der zentral gelegenen Landsberger Allee in CO2-bindender Massiv-holzbauweise mit hoch gedämmten Holzfassaden, hohem Schallschutz und einem nachhaltigen Energiekonzept errichtet. Es bietet einer Baugemeinschaft mit 42 Parteien Wohnraum mit Blick ins Grüne.

Bezahlbarer Boden ist die Grundlage für bezahlbaren Wohnraum. Nur wenn Haus und Grund der Spekulation entzogen werden, können nachhaltige und gleichzeitig bezahlbare Projekte entwickelt und umgesetzt werden. Eine weitere, wichtige Möglichkeit, nachhaltigen Wohnraum zu schaffen, ist die Sanierung von Bestandsgebäuden, bei kleinem Geldbeutel und handwerklichem Geschick mit einem hohen Anteil an Eigenleistung.

Im urbanen und ländlichen Raum gibt es einen großen Bestand an sanierungsbedürftigen Gebäuden. Es lohnt sich, diese im Sinne der Flächen- und Ressourceneinsparung zu erhalten und mit langlebigen Materialien so zu sanieren, dass sie noch lange weiterleben. Heimischer Naturstein, heimische Hölzer, Ziegel und Klinker, Lehmsteine und Lehmputz, Holzfaserdämmstoffe und Naturfasern sind Materialien, die sich seit Jahrhunderten bewähren und auch nach jahrzehnte- oder jahrhundertelangem Gebrauch nichts an Qualität einbüßen. Im Gegenteil: Diese Materialien altern in Würde und werden mit der Zeit sogar attraktiver.

Sowohl Gebäude als auch ganze Quartiere können durch energetische Konzepte nachhaltig betrieben werden, sei es durch Nahwärmesysteme, Regenwasserversickerungen, gemeinsame PV- und Solarthermie-anlagen oder Carsharing. Es gibt zahlreiche Akteure aus dem Bereich ökologisches Bauen, die sich schon seit Jahren für Klimaschutz und Ressourcenschonung im Bauwesen engagieren. Grundlage für jede Baumaßnahme sollten ein stimmiges, nachhaltiges Konzept und eine fachgerechte Planung sein. Die Möglichkeiten sind da. Es ist an der Zeit, umzudenken und mehr im Sinne der Bauwende und mit Blick auf zukünftige Generationen zu tun. Das Bauen muss klimafreundlicher werden.

Anne Raupach ist Architektin und Geschäftsführerin des Berliner Architekturbüros Anne Raupach Architektur. Mit ihrem aktuellen Holzbauprojekt „Walden 48“ wurde sie Finalistin des Deutschen Nachhaltigkeitspreises für Architektur 2021. Mehr Informationen zu ihren Projekten unter www.anneraupach.com.

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