Erst wenn man Verletzlichkeit zulässt, entsteht etwas

Interview
24.10.2022 - Boussa Thiam im Gespräch mit Marie Kloos
Boussa Thiam © Hanna Becker

Ein Gespräch mit der neuen Moderatorin von Urania kontrovers
Dass sich die Fronten der Meinung verhärten, ist ein viel beschworener Allgemeinplatz. Aber wie diskutiert man wirklich miteinander? Die Moderatorin und Journalistin Boussa Thiam erzählt auf einem Spaziergang durch Schöneberg, wie Streit gelingen kann.

Du bist Moderatorin und Journalistin und arbeitest bei sehr vielfältigen Veranstaltungen und Sendungen. Was reizt dich an deiner Arbeit?

Ich bin Berlinerin, ich komme hier aus Schöneberg. Das Moderieren lag mir irgendwie schon immer und nach dem Abitur bin ich dann auch direkt beim Musikradio gelandet und habe dort ein Volontariat gemacht. Da habe ich moderieren gelernt. Ich habe dann aber gemerkt, dass es mich nicht befriedigt, nur im Entertainmentbereich zu arbeiten. Ich habe also meinen Job gekündigt und bin dann zum Hessischen Rundfunk nach Frankfurt, habe da journalistisch gearbeitet und noch einmal ganz neue Dinge gelernt. Nach vier Jahren bin in dann nach Berlin zurückgekehrt, stand u.a. als Reporterin bei der rbb Abendshow vor der Kamera und moderiere derzeit bei den Sendern Cosmo_ARD und beim Deutschlandfunk Kultur. 

Mich reizt die Abwechslung. Und ich liebe es, mich in neue Themen einzuarbeiten. Ins Tagesgeschehen, in Kulturthemen, in politische Debatten: Das interessiert mich auch aus anthropologischer Sicht. Ich versuche immer, den Menschen zu verstehen.

Was macht für dich eine gute Sendung aus?

Die Moderation muss ein Gespür für das Publikum haben und ein Gespür für ihre Gäste. Es hilft immer, empathisch zu sein, und es hilft auch, das Ganze ein bisschen aufzulockern, also auch mal witzig zu sein. Bei Urania kontrovers wird ja auch das Publikum mit einbezogen. Wenn man diese Interaktion spürt, wenn man merkt, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer Lust haben, mitzudiskutieren, dann wird es eine gute Runde.

Und eine Offenheit in der Diskussion ist wichtig. In den Talk-Shows im Fernsehen hat man ja oft das Gefühl, eh schon zu wissen, wie die Antwort lautet. Da haben alle so ihre rollen, man macht eine Show, es entwickelt sich wenig. Wenn man aber eine Art Verletzlichkeit zulässt, wenn die Gäste versuchen, wirklich auf die Fragen zu reagieren und man spürt, dass sie nachdenken, dann entsteht da etwas, das kann auch etwas Magisches haben.

Wie schafft man einen Raum, der so eine Offenheit für andere Sichtweisen zulässt? In dem ein Austausch zwischen gegenteiligen Positionen wirklich stattfinden kann?

Man muss für eine Balance sorgen. Und dabei immer wieder verstehen, dass jede und jeder erstmal seine Meinung haben darf, solange sie sich in den demokratischen Richtlinien und Gesetzen bewegt. Das muss man aushalten. Es gehört halt auch zu einer Demokratie, dass man versucht, erst einmal die andere Meinung ein Stück weit zu verstehen. Denn erst in dem Moment, in dem man sie versteht, kann man auch wieder dagegen argumentieren.

Streit um des Streitens Willen ist Quatsch. Es muss auch keine Kontroverse geben, nur damit es aufregend ist. Das ist albern. Es ergibt sich sowieso aus den verschiedenen Antworten und Fragen, die ich formuliere, im besten Falle ein interessantes Gespräch. Und wenn nicht, dann habe ich schlecht moderiert (lacht).

Wieviel Freiheit kannst du dir selbst nehmen, auf der Bühne deine Meinung zu vertreten?

Eine Meinung zu vertreten finde ich schwierig, aber eine Haltung – auch zu dem Thema – die habe ich natürlich. Und die artikuliere ich durch die Fragen, die ich stelle. Das ist das kleine Fenster, das ich mir gebe. Ansonsten versuche ich, kritisch, journalistisch und auch neutral zu bleiben. Das gehört zu meiner Aufgabe.

Würdest du von dir selber sagen, dass du kontroverse Meinungen hast?

Da fällt mir jetzt gar nicht sein. Alles, was mir in den Sinn kommt wäre jetzt provokant. Einfach nur, um provokant zu sein.

Wo liegt da der Unterschied?

Ich glaube, wenn man kontrovers ist, ist man trotzdem differenziert. Provozieren ist im Prinzip nichts Falsches, aber wenn Menschen in Gesprächen provozieren, dann geht es oft eher darum, gesehen werden zu wollen und weniger um den Inhalt. Es geht darum, eine Meinung haben zu wollen. In Kontroversen kann man durchaus zusammenarbeiten, da kann etwas Dialogisches entstehen. Bei der Provokation geht es ums außen. Das ist eher selbstdarstellerisch.

Wie streitet man ordentlich über Politik?

Es muss faktenbasiert sein und man braucht gute Argumente. Alles, was ins Diffuse abdriftet oder ideologisch aufgeladen ist, wird schwierig. Und, das ist wichtig: Indem man zuhört. Zuhören ist so richtig wichtig. Man muss wirklich zuhören. Es darf nicht darum gehen, die eigene Meinung einfach so oft zu wiederholen, bis man gewinnt.

Was wünschst du dir für die Reihe Urania kontrovers?

Ich hoffe, dass wir das Publikum inspirieren, dass die Menschen neu über eine Sache nachdenken. Und es dann hoffentlich auch nach außen weitertragen, in Freundes- und Familienkreise. Es geht ja um gesellschaftliche Themen, die uns alle etwas angehen. Davon abgesehen lernt man ja aber auch ganz allgemein durch Diskussionen. Man lernt, wie kontroverse Gespräche funktionieren können, wie man Konflikte bearbeitet. Das kann auch dazu führen, dass man selbst noch einmal in sich geht und da auch vielleicht ganz unbewusst etwas mitnimmt. Und wenn es nur der Gedanke ist: Vielleicht sollte ich beim Abendbrot nicht sofort auf den Tisch hauen und wutentbrannt aus der Küche laufen, wenn mir eine Meinung nicht passt. Vielleicht sollte ich die andere Meinung erstmal einfach aushalten. Im besten Fall.

Vielen Dank für das Gespräch!

Seit Mai 2022 moderiert die Journalistin Boussa Thiam das Format Urania kontrovers.

 

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