Es geht um Lebensqualität und nicht um Verzicht

Interview
25.10.2021 - Nicolas Flessa im Gespräch mit Quang Paasch
Quang Paasch © Hanna Becker

Dass wir trotz Pandemie den Klimawandel und seine Konsequenzen ‘für unsere Zukunft nicht ganz aus den Augen verlieren, ist das Anliegen junger Menschen in aller Welt. Der deutsche Sprecher von Fridays for Future, Quang Paasch, im Gespräch über die Liebe zur Demokratie, gesellschaftliches Bewusstseins und die Sehnsucht nach inklusiveren Normen.

Wie haben die Pandemie und ihre Folgen Fridays for Future verändert?

Die Pandemien hat erst mal aufgezeigt, was existenzielle Krisen mit unserem System, mit unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaft anstellen: dass Krisen vorhandene Ungerechtigkeiten noch potenzieren. Was es für uns als Klimagerechtigkeitsbewegung bedeutet, ist, dass wir – so zynisch es klingt – nicht mehr abstrakt über eine Krise reden, sondern mitten in so einer Krise stecken, was vielen Menschen die Augen geöffnet hat. Zugleich hat es uns im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie auch etwas Wind aus den Segeln genommen. Der Straßenprotest ist ja völlig weggefallen. Als problematisch empfinde ich die Tatsache, dass manche Medien, aber auch Politiker:innen, den Eindruck erweckt haben, als sei der Stillstand durch den Lockdown die Lösung für den Klimawandel. Das ist Unsinn. Wir von Fridays for Future fordern ja keinen Lockdown, sondern einen klaren Wandel in unserem System. Unser Ziel ist Nachhaltigkeit im Sinne des Glücks der Menschen und nicht im Sinne einer Nullung ihrer Bewegungsmöglichkeiten.

Klimaschutz wird häufig als eine Angelegenheit stilisiert, die man sich gewissermaßen leisten können muss. Ohne darauf einzugehen, ob wir uns als Welt den Klimawandel leisten können: Was können wir tun, um dieser Schuldverschiebung auf die Konsument:innen entgegenzutreten?

Am Ende ist es falsch, Klimaschutz und Elemente des eigenen Lebens auseinanderzudividieren, denn Klimaschutz betrifft am Ende die Ernährung, die Gebäude, in denen wir leben, die Arbeit, die Mobilität, den Urlaub. Die Frage nach den Kosten des Klimaschutzes darf daher nicht von der sozialen Frage abgekoppelt werden. Der, der mehr Klimakosten verursacht, muss auch mehr zahlen. Mir persönlich ist es völlig egal, ob Leute Fleisch konsumieren oder letzten Sommer das erste Mal nach Malle geflogen sind. Wenn wir uns die Zahlen angucken, ist klar, dass diese Leute nicht die Verursacher der Klimakrise sind. Statt ihnen etwas zu verbieten, etwa ihr gutes Recht auf Erholung oder die Ernährung ihrer Kinder, will ich die Strukturen so ändern, dass am Ende auch Menschen mit wenig Einkommen trotz einer klimafreundlichen Politik mehr Lebensqualität haben.

Viele unserer gegenwärtigen Probleme haben eine lange Vorgeschichte:  Klimawandel, Rassismus, Sexismus, soziale Ungleichheit. Was entgegnest du Menschen, für die diese Themen einfach „typisch Mensch“ sind und die darauf verweisen, dass man uns egoistische Tiere einfach nicht zum Besseren erziehen kann?

Ich würde erst mal das Alltagsdenken reflektieren, um diese aufgeladenen Worte zu vermeiden. Meine Erfahrung ist: Betroffenheit bringt immer auch Empathie. Wenn ich etwa mit einem weißen Hartz-4-Empfänger sprechen würde, der mir sagt, dass Rassismus in seinem Leben keine Rolle spielt, dann würde ich mit ihm das Thema Armut diskutieren, das auch ein Ergebnis dieses sexistischen, rassistischen und klassistischen Systems ist. Und dann würde ich den Bogen schlagen zu anderen Gruppen, die sich ähnlich marginalisiert fühlen.

Fridays for Future haben den Mythos der unpolitischen Jugend völlig demontiert. Was tun gegen den Mythos der naiven Jugend, die einfach nicht versteht, wie der Hase läuft?

Ganz einfach: Wir sind der verlängerte Arm der Wissenschaft. Wir haben das Rad nicht neu erfunden, und wir sind ˝auch nicht mit Greta auf die Straße gegangen, weil sie uns den Klimawandel gepredigt hat. Stattdessen setzen wir uns für eine politische Berücksichtigung von wissenschaftlichen Fakten ein, die seit 40 Jahren ˝auf dem Tisch liegen. Was immer wieder vergessen wird: Auch die Politik hat mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens unsere Forderungen bereits beschlossen. Dass Schüler:innen für etwas ˝auf die Straße gehen, das von unserer Forschung längst verstanden und von demokratisch gewählten Vertreter:innen beschlossen wurde, ist nicht wirklich so revolutionär oder ungehorsam, dass man uns ˝als naiv bezeichnen könnte. Dazu kommt, dass ich ein Menschenbild infrage stelle, nach dem man erst volljährig sein muss, um sich ˝n der Demokratie beteiligen zu können.

Eine provokante Frage: Was unterscheidet eure Diagnose, wir bräuchten mehr Engagement der Bürger:innen abseits von Wahlen, um unsere Demokratie zu retten bzw. zu vollenden, von ähnlich lautenden Forderungen aus dem rechten Lager?

Ich glaube, es wäre sehr paternalistisch, zu sagen, dass diese uns inhaltlich sehr fremde Bewegung nicht auf die Straße gehört, weil die Leute dort generell dumm und unreflektiert sind. Das ist genau das mündigkeitsabsprechende, klassistische Bild, das ich gefährlich finde. Wer so etwas über andere Bewegungen sagt, so fremd sie mir auch seien, fördert nur die Frustration und die Wut in der Gesellschaft. Inhaltlich trennen uns natürlich Welten von Protesten wie Pegida oder den Querdenkern. Während wir für eine Gesellschaft auf die Straße gehen, in der alle partizipieren können, in der alle den Zugang zu einer sehr kritischen, aber objektiven Wissenschaftsberichterstattung haben, treten solche Bewegungen für eine emotionalisierende, auf falschen Zusammenhingen basierende Politik ein, die zwischen Menschen unterscheiden will. Wir leben Demokratie, um Demokratie zu fördern – diese nutzen Demokratie aus, ohne an sie zu glauben.

Ist die gemeinsame Kritik am Bestehenden nicht auch eine Möglichkeit, um im demokratischen Sinne gemeinsam um Lösungen zu ringen?

Als jemand, der so lange und so regelmäßig in Aktivistenkreisen unterwegs ist und dabei auf so viel Widerstand stößt, fällt es mir schwer, an einen solchen gemeinsamen Diskurs zu glauben, auch wenn ich dieses Menschenbild wirklich gerne teilen würde. Muss ich mich als erkennbar nicht „Biodeutscher“ wirklich mit Vertretern einer rassistischen Bewegung auseinandersetzen, die Menschen wie mir ihre unveräußerlichen Rechte vorenthalten wollen, oder muss ein Hartz-4-Empfän-ger wirklich mit einem Spitzenverdiener über ungerechte Steuern und den räuberischen Staat diskutieren? Ja, theoretisch müssen wir solche Diskurse führen, aber ich bezweifle, ob sie uns politisch weiterbringen werden.

Massenbewegungen scheinen von außen immer monolithisch, aber im Grunde bestehen diese doch aus einzelnen Menschen, die aus solchen Begegnungen durchaus Erkenntnisse mitnehmen können, die ihr Weltbild verändern können, oder?

Das stimmt. Sich in einer Massenbewegung zu engagieren, ist das eine, aber vor Ort in den Kiezen präsent zu sein, im Sommer Menschen aus der Nachbarschaft dafür zu gewinnen, Bäume in der Straße zu gießen oder bei Essensausgaben mitzumachen, bei denen es auch mal vegane oder vegetarische Gerichte gibt, sind kleinste Veränderungen, die das Alltagsbewusstsein vieler Leute nachhaltig verändern können, ohne dass sie vorher ihre grundsätzlichen Anschauungen über Bord werfen müssen. Ein weiteres Beispiel sind die Berliner Pop-up-Fahrrad-wege. Sie einfach umzusetzen, in der Praxis erfahrbar zu machen hat viel Akzeptanz herbeigeführt, die mit theoretischen Diskussionen über die fahrradgerechte Stadt nicht zu gewinnen war.

Wie gehst du persönlich mit der Verantwortung um, die man als exponiertes Gesicht einer so politik- und gesellschaftsprägenden Bewegung trägt? Was hat das mit dir gemacht?

Tatsächlich hat mir neulich jemand unter ein Posting mit zwei Videoausschnitten von 2019 und 2021 geschrieben, dass man in meinen Augen sehen könne, wie sie an Glanz verloren haben. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Auf der einen Seite ist so ein Engagement natürlich eine Frage zeitlicher Ressourcen, auf der anderen Seite auch eine Sache von Verantwortung und Druck. Man muss performen. Seit wir selbst zu einem Teil des Establishments geworden sind, kommen Medienvertreter:innen, Parteienvertre-ter:innen und Wirtschaftsvertreter:innen nicht mehr darum herum, uns einzuladen. Auf der einen Seite ist es absurd, dass junge Menschen vor Fridays for Future nicht Teil des demokratischen Prozesses waren, auf der anderen Seite ist es absurd, dass wir es jetzt sein müssen. Wir sollen jetzt liefern, obwohl es klar Aufgabe der Wissenschaft und der Politik ist, zu liefern. Das geht alles auf Kosten der emotionalen und psychischen Gesundheit, aber natürlich auch auf Kosten der akademischen Leistungen. Dazu kommen all die Hasskommentare in den sozialen Medien und die rechte Hetze, die bei einigen Kolleg:innen bis hin zu Morddrohungen reichen.

Fridays for Future fußt gewissermaßen auf der Kernidee der Urania Berlin, der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen an die breite Bevölkerung. Was wünschst du dir von dieser Institution, damit von ihr auch in Zukunft inspirierende Impulse ausgehen?

Ein Raum der Begegnung zu sein, des Generationendiskurses, ein Raum des Respekts, aber auf wissenschaftlich fundierter Basis. Dass man verschiedenste Generationen, Institutionen und Milieus einlädt, die unterschiedlichsten Lebensrealitäten aufeinandertreffen lässt, damit sie miteinander sprechen und voneinander lernen können. Auch das ist Demokratie. Ich erwarte von der Urania nicht, die Revolution auszurufen oder die GroKo zu stürzen, sondern ein Ort des Wissenschaftsaustauschs und des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu sein, ein Ort, an dem neue Ideen keimen können, wo man neue Menschen kennenlernt, mit denen man sich dann selbst organisieren kann, ein Ort, der Gedankenanstöße fördert, die kleine Veränderungen bewirken – bis hin zum Anstoß einer Lawine, die überkommene gesellschaftliche Strukturen ins Wanken bringt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Quang Paasch studiert Politikwissenschaft und Sonderpädagogik an der FU Berlin. Seit 2018 organisiert der Klimaaktivist die Berliner Ortsgruppe von Fridays for Future, ein Jahr später wurde er einer der Sprecher von Fridays for Future in Deutschland. Er ist Mitglied im Klimabeirat der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

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