Wissenschaft auf hohem Niveau

Interview
25.10.2021 - Nicolas Flessa im Gespräch mit Sandra Ciesek
Sandra Ciesek © Universitätsklinikum Frankfurt Foto: Ellen Lewis

Die Gastroenterologin und Virologin Sandra Ciesek über überproportionale Aufmerksamkeit, Masken im Supermarkt und die nächste Pandemie

Seit 1988 verleiht die Urania Berlin jedes Jahr die Urania-Medaille an Persönlichkeiten, die sich über ihre international herausragende fachliche Leistung hinaus um die Vermittlung von Bildung und Aufklärung an eine breite Öffentlichkeit besonders verdient gemacht haben. Dieses Jahr geht die Medaille an die Virolog:innen Prof. Dr. Sandra Ciesek und Prof. Dr. Christian Drosten für die gesellschaftliche Aufklärung zur Coronapandemie, insbesondere im Rahmen des NDR-Podcasts „Das Coronavirus-Update“. Sandra Ciesek im Gespräch mit Nicolas Flessa.

Fußballnationalspieler Leon Goretzka meinte einmal, mit dem Ausbruch der Pandemie wurden ˛aus 82 Millionen Bundestrainern 82 Millionen Virologen. Wie nehmen Sie ganz persönlich die Diskussionen über Covid-19 in der breiten Öffentlichkeit (etwa in den sozialen Medien) wahr?

Da die Pandemie eigentlich jeden betrifft – sowohl beruflich als auch im Privatleben – ist natürlich das Interesse in der Bevölkerung und in den Medien an diesem Thema sehr groß. Insgesamt habe ich im Rahmen der Diskussionen in den (sozialen) Medien sehr viel über False Balance gelernt, was mir wohl auch zukünftig bei anderen Themen helfen wird, diese mehr zu hinterfragen oder besser einzuordnen. Von einer False Balance spricht man zum Beispiel, wenn eine Einschätzung, die in der Wissenschaft nur ganz wenige vertreten, deutlich überproportional viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhält. Positiv überrascht hat mich das doch breite Interesse an Wissenschaft auf einem hohen Niveau.

Wie hat sich Ihr Alltagsleben nach dem Erscheinen Ihres Podcasts geändert? Kommen Sie vor lauter Kommunikation noch zu Ihrer eigentlichen Arbeit? Und können Sie noch unbeobachtet in die Öffentlichkeit oder müssen Sie nun auch an der Supermarktkasse fachliche Themen mit Laien diskutieren?

Die Ausarbeitung der Podcastthemen kostet schon einige Zeit. Ich versuche, diese Vorbereitung am Wochenende zu machen, um meine Arbeitszeit unter der Woche dem Institut und der Patientenversorgung und Forschung widmen zu können. Bei anderen Medienanfragen wäge ich sorgfältig ab, was ich noch wahrnehmen kann, ohne meine Kernaufgaben zu vernachlässigen.
Da ich im Supermarkt immer eine Maske trage, werde ich nicht oft erkannt.

Wäre Ihrer Meinung nach eine solche Pandemie vermeidbar gewesen oder müssen wir uns darauf einstellen, dass wir in Zukunft noch häufiger mit viralen Bedrohungen rechnen müssen?

Es gab schon immer Pandemien und es wird auch zukünftig Pandemien geben. Andere Beispiele sind die Spanische Grippe von 1918 oder auch die Schweinegrippe von 2009. Durch die zunehmende Globalisierung gelangt der Erreger schneller in viele Teile der Welt. Ich denke nicht, dass Pandemien mit unserem Lebensstil komplett vermeidbar sind, aber die aktuelle Pandemie sollte dazu führen, dass wir uns Gedanken machen, wie man sich auf die nächste Pandemie besser vorbereiten kann.

Im Falle von Covid-19 drehen sich fast alle Diskussionen um Formen der Prävention – von der Ansteckungsvermeidung bis hin zur Impfung. Wann, schätzen Sie, können wir frühestens mit erfolgreichen Formen der Therapie rechnen? Was ist eigentlich aus den Studien zu bereits bekannten Medikamenten geworden, die als mögliche Kandidaten gelten?

Die Entwicklung von spezifischen anti-viralen Medikamenten ist vom Design der Substanz über die chemische Produktion und pharmakologische Optimierung sowie die präklinische und klinische Testung bis zur Zulassung ein langer Prozess. Die klinische Überprüfung der Wirksamkeit und Sicherheit dieser neuen Substanzen verläuft in verschiedenen Phasen. Das alles dauert in der Regel viele Jahre. Schneller ginge es bei sogenannten Repurposing Drugs, also Medikamenten, die bereits für eine andere Indikation zugelassen sind. Auch wenn es hier vielversprechende Kandidaten gab, die in Zellkultur die Virusvermehrung hemmen konnten, waren bisher die Daten aus den klinischen Studien eher enttäuschend. Ein Grund hierfür ist auch, dass die Erkrankung in zwei Phasen verläuft und anti-virale Medikamente möglichst früh in der ersten Phase gegeben werden müssten.

Prof. Dr. Sandra˛ Ciesek ist Gastroenterologin und Virologin, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Lehrstuhlinhaberin und Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität. Zu ihren Schwerpunkten gehören virale Hepatitiden und in jüngerer Zeit die Forschung zu verschiedenen Aspekten rund um SARS-CoV-2.

Diese Seite teilen

F T I